Sturzprävention für Menschen mit Behinderung
Seit dem 21. Jahrhundert verändert sich die demographische Struktur der Bevölkerung stetig. Auch die Anzahl der Menschen mit Behinderung und deren Lebenserwartung wird in den kommenden Jahren stark ansteigen. So werden im Jahr 2026 die über 60-Jährigen den Großteil der Bewohner von stationären Einrichtungen für Menschen mit geistiger Behinderung ausmachen [1]. Nach aktuellen Studien sind es überwiegend alte Menschen mit Behinderung, die vor allem in der hauswirtschaftlichen Versorgung, aber auch bei Mobilität, Körperpflege und Ernährung nicht mehr allein zurechtkommen. Ein erhöhter Einsatz von finanziellen und personellen Ressourcen ist die Folge [1].
Menschen mit Behinderung im Fokus
Herr Müller ist 60 Jahre alt und seit Geburt geistig behindert. Er lebt seit mehreren Jahren in einer betreuten Einrichtung für Menschen mit Behinderung und braucht bei vielen Aktivitäten des alltäglichen Lebens Unterstützung. Auf Grund einer physischen Behinderung ist er an den Rollstuhl gebunden, den er nur kurz verlassen kann. Eines Abends möchte Herr Müller nach dem Fernsehen von seinem Rollstuhl aufstehen, um den Fernseher auszuschalten. Dabei kippt der Rollstuhl nach vorne, Herr Müller stürzt zu Boden und verletzt sich am Kopf.
Dieses Beispiel beschreibt eine typische Situation, die zu einem Sturz führen kann. Sie könnte so auch in einem Pflegeheim für SeniorInnen stattfinden – und doch ergeben sich Unterschiede. Die von dem Sportwissenschaftler Johannes Salb an der Universität Erlangen durchgeführte Pre-falllD-Studie versucht das Wissen über Stürze bei Menschen mit geistiger Behinderung zu verbessern und genau diese Unterschiede herauszuarbeiten.
Erkenntnisse bisher sehr unvollständig
Die wenigen bislang vorliegenden Studien haben gezeigt, dass auch die Menschen mit geistiger Behinderung im Vergleich ähnlich oft, bzw. sogar häufiger von Stürzen mit möglicherweise einhergehenden Verletzungen betroffen sind. Die wissenschaftliche Beschäftigung mit Stürzen geistig behinderter Menschen ist jedoch noch sehr lückenhaft. Es liegen kaum Erkenntnisse über deren Häufigkeit und Konsequenzen, über mögliche Risikofaktoren, Assessments oder Interventionsansätze vor.
Allerdings scheint es, als seien die Risikofaktoren für behinderte Menschen im Alter ebenfalls in unterschiedlichen Bereichen zu suchen: physische Komponenten wie Gang, Gleichgewicht, Kraft und Ausdauer gehören ebenso dazu wie Umweltbedingungen, das heißt Beleuchtung oder Bodenbeschaffenheit beispielsweise, Medikamente wie Antiepileptika spielen eine große Rolle, aber auch die Art und der Schweregrad der Behinderung [2, 3]. Entsprechend verfolgen die bislang vorliegenden Empfehlungen zu Interventionsmaßnahmen einen multifaktoriellen Ansatz. Sie enthalten Maßnahmen, welche die Medikation, Umweltparameter, die Behinderung aber auch die physischen und psychischen Gegebenheiten gleichermaßen berücksichtigen. Es gibt bislang jedoch keine konkreten Aussagen hinsichtlich der Art, der Inhalte und des Umfangs einer Sturzpäventionsmaßnahme für Menschen mit geistiger Behinderung. Die Studie von Johannes Salb soll diese Lücke schließen und helfen, Menschen in Behinderteneinrichtungen mit Sturzprophylaxeprogramme zu erreichen.
Eine Einrichtung macht sich auf den Weg
Das Haus Regens Wagner in Lauterhofen hat dieses Problem erkannt. Dort werden verschiedene Wohnformen für Menschen mit physischer, psychischer und geistiger Behinderung angeboten. Neben den unterschiedlichen Wohnformen gibt es eine Werkstatt und ein Förderzentrum. Insgesamt wohnen in der Einrichtung über 200 Personen, größtenteils Frauen, die im Mittel etwas über 54 Jahre alt sind. Die zunehmende Zahl älterer Bewohner hat die Verantwortlichen dazu bewogen sich des Themas Sturzprophylaxe anzunehmen.
1. Köhncke, Y., Alt und behindert, ed. E. Berlin-Institut für Bevölkerung und 2009.
2. Willgoss, T.G., A.M. Yohannes, and D. Mitchell, Review of risk factors and preventative strategies for fall-related injuries in people with intellectual disabilities. Journal of Clinical Nursing, 2010. 19(15-16): p. 2100–2109.
3. Cox, C.R., et al., Incidence of and risk factors for falls among adults with an intellectual disability. Journal of Intellectual Disability Research, 2010. 54(12): p. 1045–1057.